Noch nie war der Arbeitsweg kürzer. Wir stehen auf, wanken vom Schlafzimmer ins Wohn- oder Arbeitszimmer (wenn wir diesen Luxus haben) und abends wieder zurück. Was früher noch der Abstecher in den Supermarkt war, ist jetzt vielleicht noch ein kurzer Schlenker über die Küche. Keine vollen U-Bahnen, kein Gedränge unter den anderen Pendlern (in diesem Fall Mitbewohnenden) und keine lange Parkplatzsuche. Bequemer arbeiten geht doch gar nicht, oder? Aber wie kann es dann sein, dass wir abends trotzdem so erschöpft sind?
Dieses Phänomen nennt sich „Zoom-Fatigue“ und beschreibt die Müdigkeit und Erschöpfung, die durch virtuelle Meetings entsteht. Natürlich tritt diese Kraftlosigkeit nicht nur durch Videokonferenzen des Anbieters „Zoom“ auf, sondern betrifft den Umgang mit sämtlichen virtuell-visuellen Kommunikationstools.
Sicherlich gab es diese Erscheinung auch schon vor ein paar Jahren, wirklich bekannt geworden ist die Verbreitung allerdings erst im vergangenen Jahr, nämlich seitdem der weltweite Corona-Lockdown Millionen Menschen ins Home-Office verbannt. Seitdem stieg auch der weltweite Markt für Videokonferenzsoftware rasant an, es wird sogar vorhergesagt, dass sich die fünf Milliarden US-Dollar Umsatz aus dem Jahr 2019 bis 2027 auf elf Milliarden US-Dollar mehr als verdoppeln werden.
Wie macht sich Zoom-Fatigue bemerkbar?
Laut einer Studie des Instituts für Beschäftigung und Employability (IBE), die einmal im September und dann erneut im Dezember 2020 durchgeführt wurde, gaben knapp 60 Prozent der über 400 Befragten an, einen gewissen Grad der Zoom-Müdigkeit zu spüren. Insbesondere Konzentrationsschwächen, Ungeduld und ein schnelles „Genervt Sein“ bereiteten den Befragten Probleme. In Extremfällen leiden die Betroffenen sogar unter Schlafstörungen und körperlichen Beschwerden wie Magen- oder Gliederschmerzen. Dass wir leichter reizbar sind, merken wir im ersten Moment vielleicht gar nicht selbst, dafür aber häufig unsere Mitmenschen. Wenn nun zwei zusammenlebende Menschen beide jeden Tag von einem ins andere Online-Meeting hetzen, hängt abends nicht selten der Haussegen schief. So kann sich Zoom-Fatigue auch auf unsere zwischenmenschlichen Beziehungen auswirken.
Was genau stört unser (Unter)Bewusstsein denn eigentlich so an Videokonferenzen?
Fließbandarbeit
Ein großer Belastungsfaktor durch Online-Meetings wird gleichzeitig auch gerne als der größte Vorteil derselbigen gewertet: die räumliche Unabhängigkeit. Alles was man braucht, ist einen Internetanschluss sowie einen Computer mit Kamera und Mikrofon – und schon kann der Call beginnen. Und der nächste. Und der nächste. Und der nächste. Während es früher selbstverständlich war, keine zwei (oder mehr) persönlichen Meetings direkt nacheinander zu legen, machen Videokonferenzen genau das möglich. Schließlich muss man hier nicht erst den Raum wechseln, noch kurz in die Kantine im untersten Stockwerk, um neuen Kaffee zu tanken oder nochmal schnell ins eigene Büro, um die richtigen Unterlagen zu holen. Alles, was man braucht, ist in einer Minute beschaffbar, wir sparen also wertvolle Arbeitszeit, wenn wir so effektiv (und typisch deutsch) wie möglich planen. Dabei sind es genau diese Pausen zwischen den einzelnen Terminen, die es uns erlauben, runterzukommen und das Besprochene zu verarbeiten. Auch während der Konferenzen muss es kurze Pausen geben, in denen man die Augen vom Bildschirm wenden und sich mal eben strecken und räkeln kann, um den schmerzenden Rücken zu entlasten.
Gemeinsam einsam
Ein weiterer Störfaktor an zu vielen Videomeetings ist das Ausbleiben von zwischenmenschlichen Handlungen. Jeder „Smalltalk“ wird hier sofort von allen mitgehört und auch während der sonst gemeinsamen Kaffeepausen, kann kein lockeres Gespräch über etwas anderes als die Thematik des Calls entstehen.
Ebenso belastet es unsere Aufnahmefähigkeit, dass wir keine Möglichkeit haben, non-verbale Hinweise wahrzunehmen. Alles, was wir von unserem „Gegenüber“ sehen, ist das, was seine oder ihre Kamera wiedergeben kann, also meistens eine Figur mit Kopf und Schultern, im Bestfall noch Oberarmen. Je nachdem wie gut oder schlecht die Webcam der anderen ist, lässt sich vielleicht noch sowas wie Mimik erkennen, bei Gestik wird es schon wieder schwierig. All das sind jedoch wichtige Kommunikationsmerkmale, die für sich selbst sprechen und genauso eine Botschaft übermitteln, wie das Gesagte. Durch die Videoübertragung gehen diese Faktoren unter, wodurch wir automatisch noch mehr Energie investieren, um zwischen den Zeilen unserer Gesprächspartner:in lesen zu können.
Gleichzeitig fühlen wir uns auch selbst wie auf dem Präsentierteller, inklusive unserer Wohnzimmereinrichtung und der Katze, die mal wieder denkt, sie wäre der Star der Show. Jede kleinste Unaufmerksamkeit wird sofort von allen wahrgenommen, wodurch die Konzentration noch mehr gefragt ist. Bis zu 10.000 Teilnehmende (!) können theoretisch bei einem einzigen Zoom-Call mitmischen, trotzdem ist es die wohl einseitigste Form der Kommunikation.
Technik is‘ nich‘
Mindestens so anstrengend wie das ständige auf-den-Bildschirm-Starren ist oft auch die Tonqualität des Sprechers oder unserer Lautsprecher. Hinzukommt die Frustration über den ständig abgehakten Gesprächsfluss aufgrund der miesen Internetverbindung oder sonstigen Zeitverzögerungen wie dem abwechselnden Ein- und Ausschalten des Mikrofons. Wie das so ist mit der Technik, klappt immer genau dann etwas nicht, wenn man es braucht. So fordert auch der durchgängig erhöhte technische Aufwand seinen Tribut an unserer Geduld.
Welche Maßnahmen können wir also gegen Zoom-Fatigue ergreifen?
Laut der Befragten der IBE Studie könnten schon eine Begrenzung der Meeting-Dauer sowie regelmäßige 10-Minuten-Pausen zwischen den einzelnen Meetings eine Erleichterung verschaffen.
Auch die richtige Moderation der Videokonferenzen kann ein trockenes Meeting zu einem lockeren Austausch werden lassen, wenn zwischen der ganzen Sachlichkeit auch mal etwas Humorvolles passiert oder gemeinsam gelacht wird.
Viele Teilnehmende gaben auch an, dass weniger mehr sein könnte. Dementsprechend sollten Meetings auf die Teilnehmenden begrenzt werden, die tatsächlich mit der jeweiligen Thematik zu tun haben und so aktiv etwas beitragen können. Auf diese Weise wird dem einen Teil ein weiterer Call erspart und die anderen können konstruktiv beratschlagen.
Warum nicht mal ein rein auditives Meeting abhalten? Wenn es nur um eine kurze Absprache ohne den Austausch von Dateien oder Charts geht, ist auch kein Video nötig, dafür lieber mal die Augen schließen und entlasten.
Wer kann, sollte auch seinen Arbeitsplatz entsprechend anpassen. Heißt konkret: die richtige Höhe des Computers einstellen, die Helligkeit je nach Lichtverhältnissen regulieren, die Distanz zum Bildschirm einhalten und immer mal wieder zwischen Sitzen und Stehen wechseln.
Alle Maßnahmen haben wir hier nochmal für Ihre nächste Videokonferenz zusammengefasst:
Und wie geht’s nun weiter?
Dass sich Tools für Online-Meetings per Zoom, Teams, Skype und wie sie alle heißen wieder verabschieden werden, ist unwahrscheinlich. Genauso werden viele Arbeitnehmende auch nach der Corona-Pandemie gerne die Möglichkeit auf Arbeit im Home-Office in Anspruch nehmen und von zu Hause oder unterwegs an Meetings teilnehmen. Aus diesem Grund ist es für Unternehmen wichtig, über die Gesundheitsgefahren des Zoom-Fatigue Bescheid zu wissen und ihre Mitarbeitenden entsprechend zu schulen sowie mit qualitativ hochwertiger Hardware auszustatten.
Auf unnötige Meetings, deren Inhalt auch in eine E-Mail gepasst hätte, sollte verzichtet werden, genauso wie unterschiedliche Meetings mit genug Zeitabständen abgehalten werden sollten, sodass sich neuer Input sammeln kann, der zu konkretem Output führt. Alles in allem werden sich wohl Mischformen der Konferenzkultur entwickeln, die (hoffentlich) nur das Beste aus der analogen mit der digitalen Welt verbinden.